Es ist schon verrückt was eine spontane Idee, vielleicht am Anfang auch nicht ganz ernst gemeint, alles auslösen kann. Ich glaube keiner von uns hat sich vorstellen können, was das wirklich bedeutet.
42 km marschieren mit Blasmusik. Für den Guinness Rekord.
Wurden wir am Anfang noch viel belächelt und teils sogar verspottet, wird den meisten so langsam der Ernst der Lage klar. Seit Januar wird fleißig trainiert und im Mobile sind wir längst bekannt. Die „Alt-Herren“ Truppe mischt jeden Dienstagabend den Laden auf. Ob Wettrennen auf dem Laufband, Anfeuerungen beim Geräte Training oder Videoaufnahmen von musizierenden Sportlern, alles war dabei. Manch einer dachte am Anfang er wäre auf Grund beruflicher Voraussetzungen gut vorbereitet und könnte die schwersten Gewichte stemmen. Von wegen, das böse Erwachen kam schnell. Einer unserer jungen Musiker allerdings kann satte 160 kg auf der Beinpresse stemmen. Da guckt der Rest nicht schlecht.
Eins ist wohl klar, im Moment sind wir das fitteste Orchester in Wipperfürth. Viele von uns haben noch nie in ihrem Leben so viel Sport getrieben, geschweige denn die nötige Ausrüstung besessen. Manche bekamen schon Panik, dass die Schuhe vom vielen Training zu sehr verschleißen und haben sich noch schnell neue besorgt.
Und was sich so mancher von uns einfallen lässt um fit zu werden ist wirklich bemerkenswert. Ob zur Arbeit, Probe oder einfach nur zu einer Verabredung, vieles wird nur noch zu Fuß erledigt. Auf dem Golfplatz wird die Tasche nicht gezogen, sondern getragen. Statt mit dem Aufzug zu fahren nimmt man die Treppen, die Türrahmen im Büro werden für Klimmzüge genutzt und bei jedem Gang über den Flur schwingt der Arm im Takt.
Schlechtes Wetter kann uns nicht vom Training abhalten. Trotzten manche schon im Januar Schnee und eisigen Temperaturen dauerte es bei anderen länger bis der Spruch „ach das bisschen Regen“ zu hören war. Auch auf der Bahntrasse sind wir mittlerweile bekannt. „Ach der Musikverein trainiert wieder“. Auch wenn viele Leute sehr irritiert waren, dass wir uns bei Gegenverkehr immer links einsortieren, was tut man nicht alles für den Hund. Wir sind auch froh, dass uns noch niemand eingeliefert hat, was nicht verwunderlich wäre, wo doch unser Galeerentreiber uns mit „Los ihr Flaschen“ vorwärts treibt. Viele denken wahrscheinlich sowieso: „Das Irrenhaus hat wieder Ausgang“.
So mancher Musiker verzichtet auch seit Trainingsbeginn auf den Alkohol.
Andere hingegen feiern und trinken bis um fünf und werden nichts ahnend um 8 Uhr wieder aus dem Bett geschmissen um in Jeans und Straßenschuhen mal eben 40 km zu wandern. Einige brauchen den Hopfen auch als Motivation zum Training. So waren sich alle einig, dass unser Ziel einer sonntäglichen Wanderung nach Köln eine Brauerei war. Wir hatten allerdings nicht damit gerechnet, dass unser größtes Problem am nächsten Tag der Sonnenbrand sein würde.
Wir lassen es uns auch nicht nehmen beim Training mal einen kleinen Umweg zu gehen um einem unserer Musiker einen Geburtstagsbesuch abzustatten. Leider hatte der uns nicht für voll genommen und war ins Mobile trainieren gefahren. Hätten wir eigentlich mit rechnen müssen!
Sprüche wie „Ich geh so lange bis mich einer von der Straße kratzen muss“ oder „Wenn ich umfalle trampelt einfach über mich drüber“ sind bereits gefallen. Auch ist der Ehrgeiz mittlerweile so weit fortgeschritten, dass man beschlossen hat wie in der Wildnis vorzugehen: „Wenn das schwächste Tier sich von der Herde entfernt oder zurückfällt wird es gerissen oder eigenhändig erschossen.“
Manche dachten irrtümlicherweise der Sonntag wäre ein freier Tag. Nach gesteigertem Trainingspensum (der Rekord eines einzelnen liegt bei ca. 700 km seit Januar) wurden Schwachstellen erkannt und eliminiert. Kurzerhand wurde sogar ein Fersenschutz aus Finnland gekauft, da dieser auf dem deutschen Markt nicht erhältlich ist. Es kam auch vor, dass Leute heimlich früher zur Arbeit gingen um unbemerkt aufgrund von Muskelkater die Treppe hoch zu kriechen. Andere machten ihren Kollegen einfach Platz, nach dem Motto „geht schon mal vor, ich brauch heute was länger“. Einige Haushalte mussten auch einen erhöhten Wasserverbrauch feststellen, nachdem die Musiker nach dem Training regelmäßig zur Entspannung in die Badewanne stiegen. Und auch der Wäscheberg wuchs dramatisch.
Auch wenn viele von den Musikern an Gewicht verloren haben, sollte man nicht meinen, dass es allen so geht. Von einigen weiblichen Mitstreitern kamen Beschwerden aufgrund der vielen Muskeln würden die Hosen nicht mehr passen. Außerdem könnten wir den ganzen Tag einfach nur essen. Z.B. Jeden Kilometer ein gekochtes Ei. Ein Musiker bekommt sogar plötzlich Heißhunger auf Salat.
Neben dem ganzen Training wird natürlich auch gegrübelt, wie man denn am einfachsten das Spielen bewältigt. Leichtere Instrumente wurden besorgt, Gurte zum Tragen angeschafft, Rucksäcke mit Karabinerhaken präpariert, ein Kinderwagen für die dicke Trommel umgerüstet und Notentaschen genäht. Und immer noch stellen wir fest „da geht noch was“. Also mal sehen wie wir letztendlich in drei Wochen auf die Strecke gehen. Eins ist auf jeden Fall klar, wir haben Spaß dabei!
29. April 2012. Unser großer Tag.
28. April 2012 – Nudel-Party in Agathaberg. Unzählige Kilogramm Nudeln waren gekocht und mit ein bisschen Ketchup oder ohne Soße wurde der Vorrat an Kohlehydraten aufgefüllt. Es herrschte eine gelassene, ruhige Stimmung. Innerlich jedoch war jeder hochkonzentriert und in den einzelnen Teams wurden nochmals die letzten Strategien abgesprochen.
Um 6 Uhr am nächsten Morgen trudelten die ersten in Ohl ein, um halb 7 wimmelte es auf dem Schulhof schon vor Musikern, Familienangehörigen, Presse und Schaulustigen. In der Turnhalle gab es durch Thomas die letzte Ansprache und ein gründliches Aufwärmtraining. Jetzt war selbst dem letzten von uns klar: Es gibt kein zurück mehr. Wir müssen nun beweisen, dass wir was drauf haben und dass wir es ernst meinen.
Jeder kannte seine Reihe, jeder seine Position und seine Nachbarn in der Formation. Mit 66 Musikerinnen und Musikern standen wir am Start. Wir zählten den Countdown alle zusammen und um Punkt 7.00 Uhr fiel der Startschuss durch Schlagersänger Chris Roberts.
Kurz von Ohl nach Wipperfürth – unsere meist trainierte und routinierteste Strecke – dann der Anstieg nach Marienheide. Zu dieser frühen Stunde waren schon viele Leute unterwegs, die sich an den Bahnübergängen aufgereiht hatten, um uns anzufeuern. Doch auch auf den langen einsamen Strecken waren wir nicht allein. In großzügigem Abstand vorneweg sicherte die freiwillige Feuerwehr unseren Weg. Danach sendete ein Kamera-Team vom Pickup den aktuellen Streckenabschnitt an die Leinwand auf dem Wipperfürther Marktplatz. Als nächstes folgte unsere MMM Rikscha, die von Stefan, Olaf und Franz-Heribert im Wechsel gefahren wurde und unsere Notfallration an Wasser, Cola und Bananen lud.
Am wichtigsten danach: Unsere Tempohasen Ulrich und Hans Erich, die mit Marathonläufer Thomas Tempo und Schrittlänge ausgerechnet und geplant hatten. Die regelmäßige Kontrolle der Zeitplanung sollte uns Sicherheit geben unser Ziel rechtzeitig zu erreichen und uns nicht zu früh zu verausgaben. Dann kamen wir. 66 Musiker in 4er-Reihen, mit festem Willen den Gewaltmarsch zu schaffen.
Gleich dahinter schlossen sich unsere unabhängigen Guinness-Zeugen an: Landtagsabgeordneter Peter Biesenbach und zwei Juroren des Köln Marathon für die ganze Strecke, die Bürgermeister von Marienheide, Wipperfürth und Hückeswagen für die jeweiligen Streckenabschnitte in ihrer Stadt. Zusätzlich Logbuchpflegerin Jutta, sowie Dr. Kirsch und Dr. Danzeglocke für die ärztliche Betreuung. Den abschließenden Krankenwagen hat zum Glück niemand gebraucht.
Impressionen von der Strecke.
Nach 7:22:55 Stunden hatte der 51. Musiker die Ziellinie überquert.
Mit unverändertem Tempo marschierten wir mit dem Marsch „Gruß an Kiel“ durch die Marktstraße. Um 7:22:47 Stunden trat die erste Reihe über die Ziellinie, 8 Sekunden später hatte die letzte Reihe ebenfalls das Ziel erreicht. Und nach dem Abriss, standen wir alle noch etwas benommen herum. Als die Menge aber nicht mehr aufhörte zu jubeln, erwachten wir langsam aus unserer Starre. Es herrschte bald das totale Chaos, als alle sich gegenseitig in die Arme fielen. Wir wussten teilweise nicht mal die Zeit oder konnten den Marktplatz-Moderatoren Thomas und Ulli zuhören, wir waren einfach nur froh im Ziel zu sein. Als wir die Zeit auf der Anzeigetafel angezeigt bekamen, konnten wir erst gar nicht fassen, was das bedeutete. Aber bevor wir uns darüber Gedanken machen konnten, warenn wir schon auf dem Weg zur Bühne, um mit unserer letzten Kraft „Gruß an Würzburg“ zu spielen. Danach bekamen wir kaum mit, was auf dem Marktplatz los war, denn wir verzogen uns recht schnell in die Kreissparkasse Wipperfürth. Diese wurde uns freundlicherweise zum Umziehen zur Verfügung gestellt.
Es gab (Waden-)Massagen für die Härtefälle unter uns. Die Füße wurden längst nicht mehr verarztet, sondern nur noch notdürftig präpariert, um auf der After-Marsch-Party noch so viel wie möglich von dem „Guinness-Flair“ mitnehmen zu können. Es war ein heilloses Durcheinander. Während die einen sich an Ort und Stelle fallen ließen, an der sie gestanden hatten, rannten andere geschäftig herum, suchten Instrumentenkoffer oder ihre Wechselkleidung, die von einem Transporter schon morgens nach Abmarsch zur Kreissparkasse gefahren worden waren.
Man munkelt, dass ein Marathoni so verwirrt war, dass er das Massage-Gel nicht für die verkrampften Waden benutzt hat. Nein – ohne nachzuschauen, was man ihm da in die Hand gedrückt hat – verfrachtete er die Flüssigkeit kurzerhand in den Mund. Offensichtlich ist aber niemand zu Schaden gekommen. Mit den ganzen Deo-, Schweißfuß- und sonstigen Gerüchen mischte sich zu allem Überfluss auch noch: Döner. Kleine Spende von einem Wipperfürther Dönerladen. Wir entschuldigen uns hiermit bei allen Mitarbeitern der Kreissparkasse, die am nächsten Morgen völlig ahnungslos ihren Dienst antreten wollten.
Als wir uns geraume Zeit später unter die Zuschauer auf dem Marktplatz mischten, hatte der MV Frielingsdorf sein Platzkonzert schon beendet und Mr. Beaker betrat die Bühne. Mit der Coverband aus Düsseldorf, die von sich aus unseren wohltätigen Zweck mit einem wahnsinnig abwechslungsreichen und rockigen Programm unterstützte, gingen wir bis in die Abendstunden richtig ab. Wir tanzten, bevölkerten die umliegenden Getränkestände und taten vor allem eins: Feierten uns selbst. Das hatten wir uns heute mal verdient.
Herbst 2012: Unsere offizielle Guinness-Urkunde ist da.
Wir werden Sportler des Jahres 2012.
Erinnerungstour
28. April 2013 | Musik-Marsch-Marathon Revival Tour
Am Sonntag, 28. April 2013, trafen wir uns bei gutem Wetter zu unserer „MMM-Revival-Tour“ auf dem Wipperfürther Marktplatz. 42,195 Kilometer wollten wir heute nicht gehen – lieber eine gemütliche Wanderung über die Bahntrasse nach Hückeswagen und zurück und dabei in Erinnerung schwelgen. Nachmittags fanden wir uns dann zum Grillen im Pfarrheim Wipperfürth ein. Dort durften wir Vertreter unserer Spendenempfänger kennen lernen.
Über den Musik-Marsch-Marathon hatten wir gleichzeitig eine Spendenaktion ins Leben gerufen unter dem gemeinnützigen Verein „Musik-Marsch-Marathon“. Bei Spendeneinnahmen von über 30.000 Euro an unserem großen Tag konnten wir drei wohltätige Zwecke großzügig unterstützen. Für unseren ehemaligen 1. Trompeter Dennis im Wachkoma konnten wir mit 10.000 Euro ein Krankenbett finanzieren. Weitere 10.000 Euro gingen an die Deutsche KinderKrebshilfe. Zu Besuch war heute der Verein „Herzensträume“, der uns Fotos mitgebracht hatte: Mit unserer Spende von 10.000 Euro konnten wir einigen Kindern den letzten Wunsch oder einen besonderen Traum erfüllen.
Wir setzen dem Rekord ein Denkmal.
Bei dem städtischen „Kunstprojekt Tangente“ sicherten wir uns wie viele andere Vereine Wipperfürths einen Mauerabschnitt, um diesen mit unserem Musik-Marsch-Marathon zu gestalten.
Neben einer Zeile aus dem Bergischen Heimatlied kann man darauf die Namen aller „Marathonis“ und marschierende Musiker sehen. Außerdem haben wir die Einzelheiten über den Marathon und einen Abzug der offiziellen Guinness-Urkunde auf eine Vinyl-Platte abziehen lassen, die an die Wand geschraubt wurde.
Bei der Eröffnungsfeier waren zahlreiche Gäste anwesend und bewunderten die verschiedenen Abschnitte der neu gestalteten Tangenten-Mauer.
Huddersfield bricht den Rekord.
Erst April 2011 den Rekord von 7:55 h aufgestellt – und schon von uns gebrochen: Die „Huddersfield Marathon Band“ aus England. Anfang 2014 erreichte uns ein Anruf von Frontmann Mike Lomas. Genau wie wir vor dem Hintergrund des Fundraising für die wohltätige Organisation Sense wollten sie den Rekordversuch wiederholen, und somit unseren Rekord im Rahmen des London Marathons brechen. Auch gerne mit unserer Hilfe!
Am Ende hat es dann doch keiner von uns gewagt: Mit einem anderen Orchester unseren eigenen Rekord schlagen?
Aber für den Versuch brauchte uns Huddersfield auch gar nicht. Ursprünglich als Huddersfield Marathon University Band gestartet, bestand die Band beim ersten Rekordversuch ausschließlich aus Studenten. Für 2013 öffneten sie die Band für jeden, der mitmachen wollte. Mit 31 Musikern zwischen 18 und 45 Jahren aus den verschiedensten Ecken Englands traten sie schließlich am 22. April 2013 in London an den Start. Und: Holten sich den Rekord mit einer unfassbaren Zeit von 6:56 Stunden! Um dem noch einen draufzusetzen, konnten sie diesmal auf eine Spendensumme von etwa 69.000 Pfund stolz sein.
Mit ihrer großartigen Aktion und dem unermüdlichen Engagement hat die Huddersfield Marathon Band weitreichenden Bekanntheitsgrad erlangt und mit ihrem Spendenaufkommen zahlreiche Preise, u.a. den JustGiving Award 2014 gewonnen. Wir gratulieren ganz herzlich und freuen uns mit! Zu Mike haben wir immer noch Kontakt und warten nur darauf, dass unsere Tourplanungen wahr werden.